Zehn Gedichte

Die Musikalität der Sprache, ihr Rhythmus und ihre Hebungen sind es, welche die Lyrik mit dem Jazz verbinden. Das Gedicht "Dichtkunst" von Paul Verlaine beginnt nicht ohne Grund in seinem ersten Vers mit dem Glaubensbekenntnis: "Musik muß sein vor allen Dingen..."

 

Gottfried Benn - Ein Wort

Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu ihm hin.

Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich

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Wislawa Szymborska - Eindrücke aus dem Theater

Für mich ist das wichtigste in einer Tragödie der sechste Aufzug:
die Auferstehung vom Schlachtfeld der Bühne,
das Zupfen an den Perücken, Gewändern,
das Entfernen des Dolchs aus der Brust,
das Lösen der Schlinge vom Hals,
der muntere Auftritt in einer Reihe
mit dem Gesicht zum Parkett.

Verbeugung, einzeln, gemeinsam:
die weiße Hand auf der Wunde des Herzens,
die Knickse der Selbstmörderin,
das Nicken geköpfter Häupter.

Verbeugungen paarweise:
die Wut Arm in Arm mit der Sanftmut,
das Opfer blickt selig ins Auge des Henkers,
Rebell und Tyrann gehen friedlich nebeneinander.

Der Tritt der Ewigkeit mit der Spitze des goldnen Pantoffels.
Das Fortfegen der Moral mit der Krempe des Hutes.
Die unverbesserliche Bereitschaft, alles zu wiederholen.

Der Einzug im Gänsemarsch der früher Verstorbenen,
im zweiten, im vierten Akt, auch zwischen den Akten.
Die wunderbare Rückkehr der spurlos Verschollnen.
Zu denken, daß sie geduldig hinter Kulissen warteten,
immer noch kostümiert,
ohne sich abzuschminken,
rührt mich stärker als alle Tiraden des Dramas.

Wahrhaft erhaben aber ist das Fallen des Vorhangs
und was man noch durch den unteren Spalt sieht:
da hebt eine Hand die Blume eilig vom Boden,
dort eine andere das liegengelassene Schwert.
Erst dann erfüllt sich die unsichtbare dritte
ihre Verpflichtung:
sie schnürt mir die Kehle.

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Giaconda Belli - Die Gedanken an Dich

     Die Gedanken an Dich verweben sich
mit meiner Umgebung zu einer Decke, wie gegen die Kälte,
glänzen auf meinem Körper in der feuchten nachmittäglichen Ruhe,
ich schreibe dir und kann nichts anderes tun
als an dich denken und
heimlich deinen Namen sprechen, innen im Mund,
ihn zwischen den Zähnen bewegen und darauf kauen,
bis die Buchstaben aufgebraucht sind,
bis soviel von deinem Namen aufgebraucht ist,
daß ich ihn wiederbeleben kann, mich mit deiner Stimme und deinen Augen einlullen,
mich selbst einwiegen in diese Stunden ohne Zeit,
in denen ich nach dir verlange
und jede Minute liebe,
eingeprägt in meiner Erinnerung
für immer.

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Robert Gernhardt - Fröhliche Vögel

Sagt an, wer hat euch das gelehrt?
Das was?
Na das, das Lieben.
Ach das - ja, das ergab sich so,
als wir es gerade trieben.

Und sagt, wer hat euch das gelehrt?
Was das?
Na das, das Lachen.
Das? Ach, das kommt doch ganz von selbst
beim Naduweißtschonmachen.

    Sagt schließlich, wer hat euch das gelehrt?
Das das?
Nein das, das Trauern.
Das Wasda? Sorry, nie gehört.
Nein ehrlich - wir bedauern.

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Ingeborg Bachmann - Erklär mir, Liebe

Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,
dein unbedeckter Kopf hat's Wolken angetan,
dein Herz hat anderswo zu tun,
dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,
das Zittergras im Land nimmt überhand,
Sternblumen bläst der Sommer an und aus,
von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,
du lachst und weinst und gehst an dir zugrund,
was soll dir noch geschehen -

Erklär mir, Liebe!

Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,
die Taube stellt den Federkragen hoch,
vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,
der Entrich schreit, vom wilden Honig nimmt
das ganze Land, auch im gesetzten Park
hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

Der Fisch errötet, überholt den Schwarm
und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.
Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.
Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;
hätt ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,
daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,
und nähm den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

Erklär mir, Liebe!

Wasser weiß zu reden,
die Welle nimmt die Welle an der Hand,
im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.
So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!
Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:
sollt ich die kurze schauerliche Zeit
nur mit Gedanken Umgang haben und allein
nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?
Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn ...
Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander
durch jedes Feuer gehen.
Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

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Rainer Maria Rilke - Liebes-Lied

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an Deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

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Ulla Hahn - So

Auf der rechten Seite
so liegen daß
die Knie das Kinn
fast berühren. Sich den
Rücken freihalten für einen
nicht zu weichen
schmiegsamen Bauch.
Beine auch die mit meinen
scharf in die Kurve gehn
zwanzigfach Zeh'n.
ganz unten. Ums Herz
in der linken Brust eine
Hand die den Schlag spürt
und bleibt im Nacken
ein schlafender Mund Speichelfäden.
Morgens aufwachen.
Immer noch da sein.
So.

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Walter Helmut Fritz - Nichts sonst

Auch nach Jahren
sind wir uns unbekannt.
Deshalb erkennen wir uns.
Deshalb Zärtlichkeit
und ihr Wortlaut.
Deshalb voller Gedächtnis
Hände und Lippen.
Nichts sonst taugt
gegen Tod und Verderben.

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Rose Ausländer - Mysterium

Die Seele der Dinge
läßt mich ahnen
die Eigenheiten
unendlicher Welten

Beklommen
such ich das Antlitz
eines jeden Dinges
und finde in jedem
ein Mysterium

Geheimnisse reden zu mir
eine lebendige Sprache

Ich höre das Herz des Himmels
pochen
in meinem Herzen

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David Klingenberger - Heidegrün

Mein Blick ergreift das Bild:
Gewichen ist der Schmerz.
Leise schlägt dort mein Herz
unter herbstlichem Laub.

Nur ein Gesetz, das gilt:
Sei bereit zu lauschen
Hörst Du die Gräser rauschen?
Die Zeit zerfällt zu Staub.

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